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Ivan ein Luchs in Bayern

Der grob fahrlässige Abschuss des Luchskaters Ivan hat in den vergangenen Tagen zu etlichen Leserbriefen und Stellungnahmen geführt. Luchse sind beeindruckende Tiere, für Naturschützer sicherlich Sympathieträger, die durchaus Emotionen hervorrufen können: Das Gesicht des Luchses mit seinen nah beieinander stehenden großen Augen (relative Binokularsicht), die Pinselohren und sein weiches, interessant gezeichnetes Fell entlockt uns immer wieder Zuneigung und Aufmerksamkeit.

 

Luchse gehören zoologisch zu den Kleinkatzen, genauso wie auch die einheimische Wildkatze und die Falbkatze, die Stammart unserer Hauskatze. Die Zuordnung des Luchses zu den Großkatzen (Löwe, Tiger, Leopard, Jaguar) zeugt von Ignoranz. Denn der Luchs schnurrt wie eine Kleinkatze; die verschiedenen auffälligen Körperhaltungen sowie morphologische, anatomische und genetische Auffälligkeiten weisen den Luchs eben als Kleinkatze aus.

Es ist in der aktuell zugänglichen Fachliteratur bekannt und auch nachzulesen, dass Beutegreifer konkurrierende und unterlegene Exemplare der Ordnung Raubtiere verfolgen und auch töten. So der Löwe den Leoparden, der Leopard den Karakal und dieser versucht es an der Wildkatze. Weitere Ausführungen zum Thema Räuber - Beutebeziehung sind in der einschlägigen Fachliteratur zu finden und allgemein zugänglich. Verfassern ist bekannt, dass insbesondere Ostluchse aus Sibirien, speziell Jakutien und dem Altai, aber auch aus anderen Gebieten hinter dem Ural besondere Merkmale aufweisen. Dies trifft nicht nur für die Größe zu, besonders der männlichen Exemplare, sondern auch auf ihre ökologische Bedeutung. Ausführlich beschrieben wurde für den Ökotypus Waldluchs das Reh als Beutetier. Ostluchse haben Zugang zu Rentieren, deren Körpermasse das Mehrfache eines europäischen Rehs beträgt. Rentiere sind wehrhafter und ausdauernder als hiesige Rehe, wobei männliche Rentiere durchaus der Gewichtsklasse Rothirsch zugeordnet werden können.  

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass speziell die Harzer Luchse [Lynx lynx resinae!] eine besondere Vorliebe für Rotwild entwickelt haben, eine Beutetierart eher passend für den Ökotypus Ost-Luchs, jedoch zu massig für den Ökotypus Wald-/Karpaten-Luchs.

Im Harz wurden ab dem Jahr 2000 Luchse ausgesetzt, die aus Nachzuchten von Gehege-Luchsen unterschiedlichster Genetik abstammten. Vertreter des Ökotypus Waldluchs waren anscheinend nicht darunter. So forderten Fachleute bereits 1980 für Wiedereinbürgerungsprojekte ausschließlich Wildfänge einzusetzen. Ferner sollte der entsprechende standörtliche Ökotypus oder Unterart oder die diesem systematisch – ökologisch nächst stehende Form wieder eingebürgert werden. Der Ökotypus Waldluchs Lynx lynx carpathica wird z. Zt. im Pfälzerwald unterstützt. Das Tiermaterial erfährt dort eine strenge Selektion, so werden im Pfälzerwald ausschließlich Wildfänge dieser Unterart Lynx lynx carpathica eingesetzt.

Die genetisch buntgemischte Truppe der ‚Harzluchse‘ vermehrte sich so gut, dass ein Teil der Jungluchse auf der Suche nach freien und geeigneten Revieren aus dem Harz in angrenzende Bundesländer abwanderten. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Abwanderung vieler Exemplare aus dem Harz mit zweifelhaftem Erfolg zur Kenntnis genommen werden musste. In der betroffenen Fachwelt wurde heftig diskutiert.

Einer dieser Luchse ist der oben erwähnte Kater Ivan, der es bis nach Bayern schaffte; auf ihn kommen wir weiter unten zurück.

 

Der Luchs „Gustav“ wurde in Bayern im Jahre 2018 durch seine plötzliche Anwesenheit und sein Verhalten auffällig. Die Herkunft des Luchses „Gustav“ ist auf eine Gefangenschaftshaltung zurückzuführen, welche nach dem Tod des Tieres belegt werden konnte. Der lebende Luchs „Gustav“, Phänotyp Ostluchs, wurde durch illegale Aussetzung verantwortungslos entsorgt. Wer auch immer hierfür verantwortlich war, es bleibt unaufgeklärt.
Bereits im Jahre 2016 wurde die Harzer Luchskatze F5 auffällig, die in Thüringen einen Wurf von fünf Jungtieren zur Welt brachte. Dies zur großen Freude der Thüringer Luchsschützer, obwohl mit F5 eine Faunenverfälschung vorlag, denn diese Luchsin war alles, nur kein Exemplar des Ökotypus Waldluchs, wie sich später herausstellen sollte. F5 beendete ihre Existenz als sog. Totfund. Die Erhebung der morphometrischen Daten bewiesen, dass diese Luchsin keineswegs zum Ökotypus Waldluchs gehörte. Ihre Maße übertrafen deutlich diejenigen männlicher Exemplare des Ökotypus Waldluchs. Luchse weisen deutlichen Geschlechtsdimorphismus auf, d. h. männliche Tiere sind immer messbar größer und kräftiger als weibliche Tiere desselben Ökotypus bzw. Unterart. Welchem Umstand hatte F5 ihre beachtliche Größe zu verdanken? Der Tatsache, dass es sich bei den im Harz ausgesetzten Luchsen um Tiere aus Gehegezuchten mit nicht belegter genetischer Herkunft handelt.

Betrachtet man Filmeinspielungen, die bei Youtube unter dem Suchbegriff „Luchs Harz“ zu sehen sind, so ergibt sich ein verblüffendes Bild: Auffällig helle und große Exemplare, die sich durch „Schleichlaufen“(gehört zum Beutefangverhalten) an einen Hundeführer heranwagen. Dem Ökotypus Ost-Luchs, kann durchaus „Selbstbewusstsein“ zugestanden werden.

 

Dies belegen auch Schilderungen von Jägern und Hundeführern aus angrenzenden Bundesländern, die mit auffällig großen, hellen Luchsen Kontakt hatten. Die Luchse neigten nicht zu spontaner Flucht, häufig hatte man Gelegenheit die imposante Größe, Erscheinung und Verhalten zu dokumentieren.

Das Harzer Genpotpourri ist genau das, was wissenschaftlich geführte Zoos unbedingt vermeiden wollen. Niemand käme auf die Idee, den Genpool der vom Aussterben bedrohten Unterart Java-Leopard mit z. B. dem Einsatz von südafrikanischen Leoparden „aufzufrischen“. Hier geht es nicht nur um die Unterart, sondern auch um die Erhaltung und Beachtung eines Ökotypus.

 

Nur bei den Luchsen im Harz haben die Verantwortlichen ein Leipziger Allerlei in die Freiheit entlassen. Der einzige Ökotypus, der standortgerecht gewesen wäre, ist der Ökotypus Waldluchs oder Lyny lynx carpathica. Beim Aussetzen des Luchses im Pfälzerwald hat man nur Tiere dieses Ökotypus in die Freiheit entlassen.

Es ist z. B. aus Russland durchaus bekannt, dass Luchse – insbesondere Luchskater – gezielt Haushunde angreifen und töten können. Obwohl gerade Hundeartige Raubtiere ihre speziellen Feinde sind. Ausgeglichene Kontakte bestehen vielleicht einmal zwischen Haushund und Hauskatze, ansonsten aber besteht zwischen Hunde- und Katzenartigen allenfalls gespannte Neutralität. So ist jeder Luchs auch einem einzelnen juvenilen Wolf überlegen.

Luchse töten Katzen,

das ist normal und keineswegs auffälliges Verhalten. Jede Hauskatze ist nicht nur Konkurrent im Luchsrevier, sondern kann auch Beutetier sein. Die durch ihr vorsichtiges Verhalten und ihre kryptische Fellfärbung besser geschützten Wildkatzen, Felis silvestris, wird seltener Opfer eines Luchses als die domestizierten, oft auffällig gefärbten Hauskatzen, die vom Luchs auch verzehrt werden, wenn auch nicht immer. Denn in Agonie (Todeskampf) kann sich eine gut gefüllte Katzenblase schlagartig entleeren, was dem Frischfleischverzehrer Luchs den Appetit verderben könnte. Katzenurin kann kaum der Kategorie „schöne Düfte“ zugerechnet werden. Das auffällige „ Liegenlassen“ des Beutetieres Hauskatze kann auch als Signalfunktion verstanden werden um andere konkurrierende Beutegreifer abzuschrecken. Eine Nachnutzung durch größere Greifvögel und Rabenvögel bleibt hiervon unberührt.

Andererseits, in Finnland stehen Rotfüchse (inklusive Verzehr) durchaus auf der Beuteliste von Luchsen, obwohl Füchse durchaus streng riechen.

Insofern zeugt es von mangelndem Fachwissen, einem Luchs wie Ivan, der sich als routinierter Hauskatzenkiller erwies, ein auffälliges oder abweichendes Verhalten zu unterstellen. Wahrscheinlich zum Ökotypus Ost-Luchs gehörend, wird er den Hauskatzen aufgrund seiner Größe und Stärke schnellen Tod gebracht haben. Ivan war, menschlich betrachtet, ein harter und territorial geprägter Luchskater, der auch seinen männlichen Artgenossen „Hotzenplotz“ nicht schonte.

 

Besonders während der Ranzzeit können Luchskater sehr territorial sein. „Hotzenplotz“, der unter menschlicher Obhut einen Teil seiner prägenden Jugendentwicklung verbrachte, hatte Defizite im Sozialverhalten, die sich negativ auf den Kontakt mit wilden Luchsen ausgewirkt haben könnten. Das wahrscheinlich Ivan als vermeintliches Wildschwein erschossen wurde, gehört in die Kategorie „tragi-komisch.

Abschließend: Auswilderung (Harz, Pfälzerwald) bzw. Wiederbesiedlung/-Einwanderung (Bayerischer Wald) einer durch Menschen ausgerotteten Tierart, hier: Luchs, bedarf umfangreicher Planung, hoher Fachkompetenz, ausreichender Finanzierung und die Einbeziehung einer aufgeklärten Bevölkerung. Die Jägerschaft muss vorab ausreichend informiert, aufgeklärt und – so denn möglich – überzeugt werden.

 

Ob all diese Prämissen in den drei Kerngebieten Luchs – Harz, Bayerischer Wald und Pfälzerwald – erfüllt werden konnten? Zweifel bleiben!

Emil und Kiang

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Kommentare: 1
  • #1

    M. Hötl (Sonntag, 01 November 2020 23:03)

    Vielen Dank für Ihren ausführlichen Bericht.
    Run free, Ivan �