Der Holzweg

Im Widerstreit der Interessen 

Fachbuch verlegt im Oekom Verlag, München

Herausgeber: Hans D. Knapp, Siegfried Klaus & Lutz Fähser

Aktuelle Beiträge zur Situation des Waldes in Europa. 

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Herausgeber ein Auszug:

 

12 Thesen

1 – Wälder stellen die für den Naturhaushalt der Biosphäre bedeutendste terrestrische Vegetationsformation der Erde dar. Die Differenzierung natürlicher Wälder wird in erster Linie durch das Klima bestimmt. Wälder wirken als kühlendes „Waldkleid“, als Senke und Speicher von Kohlenstoff und weitere ökosystemare Leistungen unmittelbar auf Klima zurück.

2 – Mitteleuropa ist auf Grund des temperaten Klimas ein Waldland mit vorherrschenden sommergrünen Laubwäldern, insbesondere von der Rotbuche dominierten Wäldern. Nadelwälder sind von Natur auf höhere Berglagen und kleinflächige Sonderstandorte beschränkt. Urwälder wurden seit der Jungsteinzeit in mehreren Rodungsphasen zurückgedrängt und in Kulturlandschaft gewandelt. Die verbliebenen Wälder wurden im Laufe der Geschichte durch diverse Nutzungen in ihrer Struktur verändert und degradiert. In Wüstungsphasen konnten sie sich vorübergehend ausbreiten und regenerieren.

3 – Degradierter Waldzustand und weitverbreiteter Holzmangel gaben im 18. Jahrhundert den Anstoß zur „Erfindung“ des Nachhaltigkeitsprinzips sowie zur Entwicklung von Forstwissenschaft und geregelter Forstwirtschaft. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden Wald und Weide getrennt, degradierte Niederwälder und kahlgeweidete Hudewälder in Hochwälder überführt. Die Waldfläche wurde durch Aufforstungen mit Kiefern- und Fichtenmonokulturen deutlich erweitert. Reinertragslehre und Altersklassenforst wurden zum vorherrschenden Wirtschaftsmodell der Forstwirtschaft.

4 – Wald wurde und wird von denen, die ihn bewirtschaften, in erster Linie als Rohstoffquelle, vor allem als Lieferant von Holz für die verschiedensten Zwecke und damit als Wirtschaftsgut angesehen. Die Multifunktionalität von Wald wird zwar theoretisch anerkannt und beschworen, im praktischen Waldmanagement aber weitgehend ausgeblendet. Ansätze zu ökosystem-orientierter Waldwirtschaft wurden und werden bis heute vom professionellen Mainstream marginalisiert oder gar bekämpft

5 – Die seit zweihundert Jahren vorherrschende Form der Waldwirtschaft – Kahlschlag mit Pflanzung von Nadelholzforsten bzw. Großschirmschlag mit Naturverjüngung in Buchenwäldern – hat zu drastischer Verarmung der biologischen Vielfalt der Wälder (insbesondere an Organismen der Alters- und Zerfallsphasen), zur Einschränkung und Hemmung ökosystemarer Leistungen, zum Verlust von Resilienz und Erhöhung der Anfälligkeit gegenüber Kalamitäten geführt.

6 – Der Verlust von Naturwäldern hat schon im 19. Jahrhundert zu einzelnen Initiativen zum Schutz von Wäldern mit alten, ehrwürdigen Bäumen geführt. Mit der Entwicklung von Naturschutz als gesellschaftlichem Phänomen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben etablierte Forstverwaltungen die alleinige Zuständigkeit für Naturschutz im Wald beansprucht und bis heute gegenüber den inzwischen etablierten Naturschutzverwaltungen verteidigt. Naturschutzgebiete werden in der Regel weiterhin „ordnungsgemäß“ im Sinne der Waldgesetze als Wirtschaftswälder bewirtschaftet.

7 – Etwa seit Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat der Nutzungsdruck auf Wälder weltweit zugenommen. Ungeachtet wissenschaftlicher Erkenntnisse über die existenzielle Bedeutung von Wäldern für die Menschheit und ungeachtet internationaler Konventionen und Programme schreiten Ausbeutung und Zerstörung von Wäldern in globalem Ausmaß voran. Das betrifft nicht nur tropische Wälder, sondern auch ausgedehnte Waldregionen gemäßigter und kühler Breiten der Nordhalbkugel von Skandinavien über Russland/Sibirien bis nach Nordamerika.

8 – In Deutschland hat die Umwandlung staatlicher Forstverwaltungen in privatwirtschaftlich organisierte Lan-desforstbetriebe u.a. zu Personalabbau in der Fläche, zur Aufrüstung mit schwerer Technik und zur Erhöhung des Nutzungsdrucks auf Wälder der öffentlichen Hand geführt. Trockenheit und Hitze, Immissionen und Insekten setzen die durch naturwidrige Behandlung vorgeschädigten Wälder in Deutschland unter zusätzlichen Stress und verursachen Waldschäden bisher nicht gekannten Ausmaßes. Die landauf landab nicht zu übersehende starke Holznutzung in deutschen Wäldern, das Zerfahren und Verdichten der Waldböden, die Auswirkungen von Trockenheit und Hitze haben seit einigen Jahren zur Bildung von Bürgerinitiativen und deren Vernetzung unter-einander geführt.

9 – Der traditionelle Streit zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz um Naturschutz im Wald in Deutschland ist seit einigen Jahren ungeachtet zeitweiliger Annäherung zu einem erbittert geführten Grundsatzstreit eskaliert. Die Zielstellung, 5% des Waldes in Deutschland bzw. 10% des Waldes in öffentlichem Eigentum als Naturwälder entwickeln zu lassen, hat zu grotesker Abwehr der Forst- und Holzlobby gegen die von ihr so genannte „Stilllegung“ von Wald geführt. Das Propagieren von vermehrtem Holzverbrauch als Maßnahme zum Klimaschutz ist unverantwortlich und gefährlich, da es der Ausplünderung von Wald Vorschub leistet und zu weiterer Degradation von Wäldern und Verlust ökosystemarer Leistungen führt. Das Beharren auf veralteten Erkenntnissen und die teils aggressive Abwehr und Ignoranz von Forstwissenschaft und Politik gegenüber ökologischen Erkenntnissen über Wald als sehr komplexes Ökosystem ist nicht nachvollziehbar und vielleicht nur sozio-psychologisch erklärbar.

10 – Der Klimawandel mit Trockenheits- und Hitzeperioden verändert das Waldklima Mitteleuropas im Moment in Richtung Waldsteppenklima. Das hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf Wald und zwingt zur Anpassung. Kahlschlag geschädigter Forsten und Neupflanzung mit vermuteten „Wunderbaumarten“ werden je-doch das Problem nicht lösen sondern verschärfen. Die derzeit für jedermann sichtbar zu Tage tretenden Waldschäden sind nicht allein Folge wiederholter sommerlicher Trockenperioden, sondern Ausdruck einer systemischen Krise der Forstwirtschaft. Sie sind jedoch nicht mit den Praktiken zu mildern und schon gar nicht zu heilen, durch die sie mit verursacht worden sind. Das Subventionieren offenkundig waldschädlicher Forstpraktiken ist Verschwendung von Steuergeldern und erhöht das Überlebensrisiko für die so behandelten Forsten in der Zukunft.

11 – Notwendig ist eine Waldstrategie, die nicht durch die Säge- und Holzindustrie und den Bedarf globaler Märkte bestimmt wird, sondern von den Notwendigkeiten einer schnellen Anpassung unserer Wälder an sich dramatisch ändernde Rahmenbedingungen. Das bedeutet: Verbot von Kahlschlägen, striktes Gebot von Naturverjüngung, Nutzung von Sukzession, vorrangige Ansiedlung standortheimischer Baumarten, konsequente Regulierung der Schalenwildbestände ohne Rücksicht auf Partikularinteressen der Jagdlobby, sanfte Betriebstechniken, insbesondere motormanuelle Holzernte mit Forstwirten und Techniken, die Bodenschäden minimieren oder ganz vermeiden. Alle Wälder, gerade auch Wirtschaftswälder, müssen sich möglichst naturnah entwickeln dürfen und durch wirtschaftliche Maßnahmen nach dem Prinzip der minimalen Störung möglichst wenig geschädigt werden.

12 – Die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald offenbaren, dass das reduktionistische Verständnis von Wald als Holzfabrik zur Befriedigung oft künstlich erzeugter Bedürfnisse eines von Profitmaximierung getriebenen Marktes ein Irrweg ist. Wir erleben nicht eine Krise des Waldes, sondern eine Krise des Systems Forstwirtschaft auf „dem Holzweg“. Diese Krise muss als Chance für einen Paradigmenwechsel hin zu einer ökosystemar basierten Waldwirtschaft genutzt werden. In diesem Sinne bedürfen Forschung und Ausbildung einer grundlegenden Neuausrichtung in interdisziplinärer Kooperation.

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